07.07.08

7.7.1807: Der Friede von Tilsit

Napoleon: "Der Gedanke, Preußen könne sich allein mit mir einlassen, erscheint mir so lächerlich, dass er gar nicht in Betracht gezogen zu werden verdient."

Napoleon hatte mit soviel Unvernunft nicht gerechnet. Seit der Korse am 2. März 1796 zum Oberbefehlshaber der französischen Armee aufgestiegen war, hatte er sich nur noch einmal - im August 1798 gegen den englischen Admiral Nelson - eine Blöße gegeben. Danach waren die Revolutionstruppen sieben Jahre lang von Sieg zu Sieg marschiert und hatten den gesamten Kontinent erobert. Die vernichtende Niederlage des zahlenmäßig weit überlegenen österreichisch-russischen Heeres am 2. Dezember 1805 in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz hatte an der Stärke der "Grande Nation" keinen Zweifel gelassen.

Frankreich wollte Europa befreien, behauptete Bonaparte, der mit seiner Kaiserkrönung am 2. Dezember 1804 zur monarchistischen Staatsform zurückgehrt war, aber gleichzeitig die Ideale der französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - in die Welt hinauszutragen vorgab. Den "Völkern Italiens" etwa verkündete er, dass er komme, um ihre Ketten zu zerbrechen:

Napoleon: "Das französische Volk ist der Freund aller Völker. Wir führen den Krieg als großmütige Feinde und nur gegen die Tyrannen, die euch unterdrücken."

Napoleon modernisiert Europa. Der code civile, auch code napoléon genannt, garantiert erstmals individuelle Bürgerrechte. Doch die Rheinländer und Belgier erfahren schon zu Beginn der Revolutionskriege - Verteidigungskriege gegen die europäischen Konterrevolution, wie die herrschenden Girondisten behaupten -, dass die Franzosen nicht nur die selbstlose Befreiung aus monarchischer und feudaler Knechtschaft bescheren, sondern auch drückende Steuern, Kriegslasten, Truppenaushebungen und entwertetes Geld.

Österreich muss nach Austerlitz im Frieden von Preßburg große Gebietsverluste hinnehmen. Das Königreich Preußen war, von Napoleon umworben, neutral geblieben. Jetzt setzt Napoleon Preußen jedoch unter diplomatischen Druck, pocht auf den Rhein als natürliche Grenze.

König Friedrich Wilhelm III. fordert Frankreich ultimativ auf, seine Truppen aus dem rechtsrheinischen Deutschland abzuziehen. Preußen sucht im Glauben an die eigene vermeintliche Stärke und ohne nennenswerte Bundesgenossen tatsächlich die Konfrontation mit dem übermächtigen Gegner. Ein selbstmörderisches Unterfangen.

Napoleon marschiert in Thüringen ein. Die Schlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober endete mit einer Katastrophe für die preußische Armee. 13 Tage später zieht Napoleon in Berlin ein. König Friedrich Wilhelm III. flieht nach Ostpreußen, von wo aus er mit russischer Unterstützung den Krieg fortsetzt. Doch Bonaparte besiegt in der Schlacht von Friedland am 14. Juni 1807 auch das Heer des Zaren. Preußen will Frieden und erleidet im ostpreußischen Tilsit vom 7. bis 9. Juli nach der militärischen auch eine vollständige diplomatische Niederlage.

Auf zwei Flößen mit Holzhäuschen teilt Napoleon den Kontinent auf: Russland erhält freie Hand gegen Schweden und die Türkei. Preußen entgeht nur dank der Fürsprache von Zar Alexander I. seiner Vernichtung. Es verliert alle Gewinne aus der zweiten und dritten polnischen Teilung und alle Territorien zwischen Rhein und Elbe - insgesamt 27.000 Quadratmeilen Land mit fünf Millionen Einwohnern.

Das Gebiet wird zum Napoleonidenstaat Königreich Westfalen unter der Herrschaft von Napoleons Bruder Jérome Bonaparte. Frankreich selbst begnügt sich mit der Errichtung des Herzogtums Warschau in Personalunion mit Sachsen.

In Tilsit ist Napoleon auf dem Höhepunkt der Macht. Das Versprechen an seine Soldaten scheint er eingehalten zu haben:

Napoleon: "Ich will Euch in die fruchtbarsten Ebenen der Welt führen. Dort werdet Ihr Ehre, Ruhm und Reichtum finden."

Preußen hingegen ist nach über 100 Jahren kontinuierlichen Aufstiegs zur Großmacht auf dem Tiefpunkt seiner Geschichte angelangt. Den Verhaltenskodex legt der Gouverneur von Berlin, Graf Schulenburg-Kehnert, per Maueranschlag fest:

Graf Schulenburg: "Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht."

Doch Napoleon ist nicht saturiert. Ein Ende der Kriege ist nicht abzusehen, möglicherweise ein Wesenszug der revolutionären Expansion. Des Kaisers Diktum lautet:

Napoleon: "Ein erster Konsul muss sich durch Handlungen hervortun und folglich Krieg führen."

Jeder Friedensschluss - Campo Formio 1797, Lunéville 1801, Amiens 1802, Pressburg oder Tilsit - gleicht nur einem Waffenstillstand und gewährt lediglich eine Atempause zur Vorbereitung immer neuer Kriege. Die europäische und dann die Weltherrschaft ist das Ziel. Vor den Toren Moskaus scheitert Napoleon 1812. Sein Bruder Jérome hatte ihn beim Durchmarsch durch Deutschland gewarnt:

Jérome Bonaparte: "Die Gärung hat den höchsten Grad erreicht. Die Verzweiflung der Völker, die nichts mehr zu verlieren haben, weil man ihnen schon alles genommen hat, ist zu fürchten."

Preußen hatte die Niederlage für innenpolitische Reformen unter den Freiherren vom Stein und von Hardenberg genutzt und die Grundlage für die Entwicklung vom absolutistischen zum modernen Verfassungsstaat gelegt. Zusammen mit Russland führt es die europäische Koalition mit Österreich, England, Schweden und Bayern gegen Napoleon an. Die völlig erschöpfte französische Armee unterliegt in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813.

Napoleon ist am Ende, Preußen wieder Großmacht und Europa nach dem Wiener Kongress 1815 - wenn auch im fragilen - Gleichgewicht der Kräfte.

Autor: Frank Gerstenberg

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