14.08.08

14.8.1900: Expeditionskorps erreicht Peking

Es ist eine der dramatischsten und zugleich bizarrsten Fußnoten deutscher Kolonialgeschichte: Im Sommer 1900 belagern Kung-Fu-geübte Krieger chinesischer Geheimbünde das Diplomatenviertel von Peking. Der Aufstand der wegen ihrer Kampfkunst so genannten Boxer beschränkt sich nicht auf die chinesische Hauptstadt.

Die Berliner Morgenpost berichtet in ihrer Ausgabe am 16. Juni 1900: "Der Aufruhr der Boxer ist in den letzten Tagen immer mehr zu einer Gesamterhebung Chinas gegen die fremden Mächte geworden, er hat sich mit ungeahnter Raschheit über alle Teile des gar nicht so himmlischen Reiches verbreitet. Vor allem aber ist die Gefahr für die in Peking befindlichen Ausländer eine so furchtbare geworden, dass sie in der nächsten Stunde zum schrecklichen Ereignis zu werden droht."

Brisant wird die Situation für die Gesandten in Peking bereits vier Tage später: Am 20. Juni 1900 erschießen die Aufständischen den deutschen Botschafter, Graf von Kettler, in seiner Sänfte. Die Schüsse sind der Auftakt zur Belagerung des Diplomatenviertels. Insgesamt 4000 Ausländer und Chinesen sind eingeschlossen. Die ausländischen Gesandten durchleben 56 Tage der Angst. Was ist geschehen, dass sich der Zorn der Einheimischen derart entlädt?

Der Boxeraufstand ist einerseits das Ergebnis lang andauernder europäischer Einmischung in die chinesische Wirtschaft mit teilweise verheerenden Folgen. Die Opiumsucht der Chinesen beispielsweise wird ein richtiger Wirtschaftskiller. Aus ihren indischen Kolonialgebieten importieren die Engländer die Droge über zwei Jahrhunderte in das Reich der Mitte. Versuche der Chinesen, den Import zu stoppen, enden 1842 in einer Niederlage im sogenannten Opiumkrieg.

Erniedrigende Zugeständnisse wie die Übergabe der Insel Hongkong an die britische Krone fördern weitere kriegerische Auseinandersetzungen mit England - und auch Frankreich als alliiertem Partner. Auf der anderen Seite steht eine korrupte und ineffiziente Ching-Dynastie, die das Land seit 250 Jahren regiert und nun zerfällt.

China ist am Ende des 19. Jahrhunderts zermürbt. Die Kraft zum direkten Widerstand gegen die kolonialen Niederlassungen fehlt. Doch das Regime der Kaiserinnenwitwe Tzu-Hsi ermutigt das Anwachsen einer Widerstandsbewegung im Volk. Der Geheimbund "Yi-he quan", was soviel heißt wie "Faust für Recht und Einigkeit", bildet sich.

Und ausgerechnet in Shandong liegen die Wurzeln der Boxerbewegung. In dieser Küstenprovinz haben sich 1897 die Deutschen festgesetzt. Sie wollen dort eine Musterkolonie nach britischem Vorbild, ein "deutsches Hongkong" aufbauen: einen boomenden Hafen, Schulen, Brauhaus, Skatverein.

Doch die neuen Herren, die sogar in den Bergen das fernöstliche Gegenstück zum Schwarzwald erkennen wollen, haben sich eine der traditionell unruhigsten Regionen für ihr größtes koloniales Abenteuer ausgesucht. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der deutsche Gesandte Graf von Kettler auf die Boxer, die die Hauptstadt Peking stürmen, besonders herrisch und impulsiv reagiert, da sie aus "seiner" Region stammen. Sein koloniales Auftreten bezahlt er mit dem Leben.

Ein wütender deutscher Kaiser Wilhelm II. verlangt Genugtuung und entsendet Verstärkung zu den bereits in China stationierten und kämpfenden deutschen Truppen. Gemeinsam mit den englischen und französischen Alliierten soll ein koloniales Exempel statuiert werden.

Der Boxeraufstand eskaliert immer mehr und fordert immer mehr Opfer. Die Anzahl der ermordeten Chinesen geht in die Tausende, dem stehen 300 getötete Ausländer gegenüber. Die Hauptstadt Peking wird von den ausländischen Truppen am 14. August 1900 befreit. Das Drama endet mit einer Groteske: Dem von Kaiser Wilhelm entsandten Expeditionskorps wird befohlen, sich "wie die Hunnen zu benehmen".

Zitat: "Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht."

Als die Soldaten in China eintreffen, sind die Gesandten längst befreit. China muss nach der Niederschlagung demütigende Friedensbedingungen akzeptieren. Ein kaiserlicher Prinz reist nach Berlin und entschuldigt sich offiziell für die Ermordung des deutschen Gesandten. Hohe Reparationszahlungen machen der Wirtschaft zu schaffen.

Das marode System kann sich von diesem Schlag nicht mehr erholen. Dreizehn Jahre später wird der letzte chinesische Kaiser gestürzt. Das Land versinkt in Anarchie.

1 Kommentar:

Yin-und-Yang hat gesagt…

Die Chinesen haben aus ihren Niederlagen gelernt, haben ihre eigenen Fehler erkannt und sich gewandelt - auch wenn sie noch einen langen Marsch vor sich haben. Warum gelingt dies nur den Arabern nicht?