Mit dem Roman "Die Blechtrommel" gelang dem damals in Paris lebenden Günter Grass 1959 ein Sensationserfolg, der zugleich den Durchbruch deutscher Literatur auf dem internationalen Markt nach dem Zweiten Weltkrieg markierte. Millionen haben das Buch seither gelesen.
Der renommierte Literaturwissenschaftler Hans Mayer hält "Die Blechtrommel" für ein "Geniewerk" und für den einzigen deutschen Nachkriegsroman, der weltliterarische Bedeutung erlangt hat.
In der Bundesrepublik zog sich Grass mit seinem Erstling allerdings auch den Vorwurf der Blasphemie zu. 1960 nahm der Bremer Senat den durch eine unabhängige Jury zuerkannten Bremer Literaturpreis an Grass wieder zurück. Und noch 1965 fragten Demonstranten anlässlich der Verleihung des Büchnerpreises an Günter Grass auf gedruckten Plakaten "10.000 Mark Steuergelder für Kunst oder Pornographie?"
Nicht zuletzt der Welterfolg der Blechtrommelverfilmung von 1979 in der Regie von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta festigte weiter die Zugehörigkeit dieses Werkes zur Weltliteratur.
Was ist das für ein Buch, das solche anhaltende Begeisterung entfacht? Die Hauptfigur des Romans ist der dreißigjährige Oskar Mazerath, der sich als "Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt" vorstellt. Er trifft gerade die Vorbereitungen zur Niederschrift seiner Lebenserinnerungen:
Oskars dritter Geburtstag wird der wichtigste Tag in seinem Leben. Er beschließt, sich konsequent der Erwachsenenwelt zu verweigern und das Wachstum einzustellen. Äußerlich ist es ein selbstinszenierter Sturz von der Kellertreppe. Doch Oskars wahres Motiv in seinem Inneren ist der Protest:
"Ich blieb der Dreijährige, der Gnom, der Däumling, der nicht aufzustockende Dreikäsehoch blieb ich, um nicht als einseinundsiebzig großer, so genannter Erwachsener, einem Mann, der sich selbst vor dem Spiegel beim Rasieren, mein Vater nannte, ausgeliefert und einem Geschäft verpflichtet zu sein, das, nach Matzeraths Wunsch, als Kolonialwarengeschäft einem einundzwanzigjährigen Oskar die Welt der Erwachsenen bedeuten sollte. Um nicht mit einer Ladenkasse klappern zu müssen, hielt ich mich an die Trommel und wuchs seit meinem dritten Geburtstag keinen Fingerbreit mehr, blieb der Dreijährige, aber auch Dreimalkluge, der innerlich und äußerlich vollkommen fertig war."
Aber Oskar hat die außergewöhnliche und irritierende Fähigkeit, Glas zu zersingen und mit seiner Kinder-Trommel "das Volk" zu begeistern, was ihm immer wieder ermöglichte, auch den damals Herrschenden, den Nazis, eins auszuwischen.
Grass zeigt sich hier als Meister grotesker Darstellung. Wie immer man den Roman "Die Blechtrommel" klassifizieren mag, ob als modernen Schelmenroman oder als Entwicklungsroman ohne Entwicklung, er folgt auf jeden Fall in ironischer Einfärbung dem Gattungsmuster der Autobiografie.
Oskar Matzerath beschreibt sich immer als Außenseiter sowohl als Insasse einer Nervenheilanstalt - in der Bundesrepublik der 1950er Jahre als auch in seiner Vergangenheit während des Nationalsozialismus in der ehemaligen Freien Stadt Danzig. In dieser Dimension zehrt die Erzählung von der erlebten Geschichte ihres Autors Günter Grass.
Harenbergs Lexikon der Weltliteratur meint dazu: "Die Doppeldeutigkeit, die Grass dem gesamten Roman einschreibt, macht seine besondere Qualität aus. Historisch trifft sie die widersprüchliche Situation des deutschen Kleinbürgertums und die widersprüchliche Haltung der Deutschen zur nationalsozialistischen Herrschaft. Auch die kollektive Verdrängung von Schuld und Erinnerung nach 1945 und die verbreitete Aggressivität gegen diejenigen, die an Schuld und Vergangenheit mahnen, wird von der grotesken Erzählweise aufs Genaueste getroffen. Möglicherweise ist es eben dieser groteske Überschuss, der dem Roman seine Vitalität verleiht."
Wie sich dieser frühe Welterfolg des Romans "Die Blechtrommel" auf sein späteres Leben selbst ausgewirkt hat, sagte Günter Grass der Deutschen Welle:
Grass: "Na, es hatte für mich erst einmal die Folge, als die Blechtrommel herauskam. 1959, im Jahr davor, bekam ich den Preis der Gruppe 47, bekam ich zum ersten Mal überhaupt Geld in die Hand. Ich war arm wie eine Kirchenmaus, auch während der Zeit, in der ich die Blechtrommel geschrieben habe. Das hat mir seitdem etwas gegeben, was sich viele Autoren wünschen, zu Recht wünschen, eine wirtschaftliche Unabhängigkeit. Und das weiß ich dankbar zu schätzen, bis heute, diese Art von Unabhängigkeit. Der andere Preis, der zu zahlen war, dieser relativ frühe Ruhm, war erst mal lästig. Die großen Erwartungen, und das hab ich akzeptieren müssen, so wie es ist."
Aber dieser zwergwüchsige Blechtrommler hat ihn auch später nicht losgelassen. Dazu zum Schluss noch einmal Günter Grass selbst:
Grass: "Er war schon während des Schreibprozesses eine äußerst widerspenstige, fiktive Figur. Und da sich fiktive Figuren nach einer gewissen Schreibzeit, sobald sie Umriss und Unterfutter gewinnen, selbständig machen, widersprach er auch dem Autor in bestimmten Situationen. Ich hatte vor, unter anderem ihm eine Schwester zu geben. Und das wollte er nicht - er wollte Einzelkind sein und bleiben. Und da ich das unbedingt durchsetzen wollte, hat er so sperrig reagiert, dass ich also eine regelrechte Schreibsperre hatte eine Zeitlang, bis ich nachgegeben habe. Nun hatte ich diese Schwester im Kopf, sie war da, und das ist dann die spätere Tulla Pokriefke, die in 'Katz und Maus' und 'Hundejahre' auftauchte. Das konnte er nicht verhindern. Aber es war sein Protest spürbar. Und dann, viele Jahrzehnte später, als ich an der Stoffmasse der 'Rättin' saß, war er auf einmal da. So wie es um die sogenannten neuen Medien ging, die dort ja eine ziemliche Rolle spielen in diesem Roman, sagte er, da gehör' ich dazu, nicht wahr, ich bin immer mit Medien befasst gewesen, von der 'Blechtrommel' angefangen bis zu dem Rückwärtstrommeln in der Nachkriegszeit, als er sein Geld damit verdiente. Und in der Tat, als ich ihn dann auch nicht loswurde, war er sehr anständig in diesem Buch 'Die Rättin'. Es war nun kurz vor seinem 60. Geburtstag. Und das ließ sich ganz zwanglos in das Romangeflecht einfügen."
Soweit Günter Grass. Es liegt nahe, "Die Blechtrommel" als verfremdete Rekonstruktion erlebter Geschichte zu verstehen. Andere haben sie immer wieder als grotesken Bildungsroman oder modernen Schelmenroman gedeutet. "In jedem Fall ist sie", schreibt Harenbergs Lexikon, "ein Erzählwerk der klassischen Moderne, dessen epische Frische zur wiederholten Lektüre anregt."
24.09.08
24.9.1959: "Die Blechtrommel"
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