15.09.08

Kaiser Augustus wohnte gar nicht bescheiden

Als genügsam wurde er beschrieben. Tatsächlich wohnte Kaiser Augustus in einem Palast mit den Ausmaßen einer Stadt, umgeben von Heiligtümern für den Gott Apoll. Forscher haben jetzt die historischen Legenden widerlegt und herausgefunden: Satte 24.000 Quadratmeter standen dem Herrscher zur Verfügung.

Andrea Carandini ist ein Mann der provokanten Entdeckungen, der revolutionären Verknüpfungen von Historie und Mythos. So entdeckte der Archäologe der römischen Universität „La Sapienza“ im vergangenen Jahr auf dem römischen Palatinshügel die Höhle, in der der Legende nach eine gütige Wölfin die Stadtgründer Roms, Romulus und Remus, genährt haben soll.

Zwar ist die historische Rolle der mit Muscheln und Marmor verzierten Grotte weiter umstritten. Aber Carandini hat auf dem Palatin bereits ein neues Projekt. Hier entdeckte man in den Sechzigerjahren nahe der Romulus-Grotte den Palast des Augustus, der seither in mühsamer Kleinarbeit restauriert und auf Plänen rekonstruiert wird. Im März wurden fünf Räume der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Doch nicht nur kunsthistorisch eröffnen sich Welten: Carandini glaubt, anhand des Palastes die Brücke vom Gründungsmythos der Stadt Rom über das goldene Zeitalter des Augustus hin zur Christianisierung unter Konstantin schlagen zu können.

Bescheidenheit auf 8500 Quadratmetern

Octavian, der spätere Augustus (63 v.-14 n. Chr.), erwarb um 43 v. Chr., ein Jahr nach der Ermordung seines Adoptivvaters Caesar, das Grundstück für seinen Palast auf dem Palatin-Hügel, zwischen dem Forum Romanum und dem Circus Maximus, um, so Carandinis These, seine Herrschaft in Kontinuität zur Gründung Roms zu setzen. Kern des Palastkomplexes bildete das einstige Haus des Redners Quintus Hortensius, das Augustus mit mehreren benachbarten Grundstücken verband. Der Hofarchivar Sueton berichtet: „Er [Augustus] wohnte in der bescheidenen Unterkunft des Hortensius, die weder durch Geräumigkeit noch prunkvolle Ausstattung auffiel und nur niedrige Kolonnaden mit Säulen aus Tuffstein hatte und Säle ohne Marmorstuck und Mosaikböden. Mehr als vierzig Jahre lang benutzte er im Sommer wie im Winter ein und dasselbe Schlafzimmer.“
Der Mann, der nach seinem Sieg über Antonius und Kleopatra 30 v. Chr. als Alleinherrscher das Imperium regierte, blieb seiner ländlichen Herkunft treu und lebte – so möchte Sueton gemäß der kaiserlichen Propaganda glauben machen – wie ein „primus inter pares“ (Erster unter Gleichen). Doch die Funde sprechen eine andere Sprache. Bereits der ursprüngliche Palast mit rund 8500 Quadratmetern Umfang lässt die Bescheidenheit des Imperators fragwürdig erscheinen. Aber noch bevor der Palast vollendet war, nahm der Bau eine unerwartete Wende.

Ein Haus, das einer Stadt gleich kommt

Im Jahr 36 v. Chr. schlug ein Blitz in den Palast ein und traf den Triumvirn beinahe. Der zutiefst erschütterte Octavian, der damals, auf dem Höhepunkt der Bürgerkriege, seinen Endkampf mit Antonius vorbereitete, konsultierte einen Seher, der ihm die Botschaft der Himmlischen darlegte: Apollo war erbost, weil er für sich einen Platz im Palast verlangte. Also schüttete Augustus den alten Wohnsitz zu und baute einen neuen Palast von 24.000 Quadratmetern, der ein bombastisches Apollo-Heiligtum umfasste. Reliefs dokumentieren die Architektur des Tempels.

Neben den in der Tat eher kleinen Privatgemächern des Herrschers und seiner Familie gab es in der Anlage noch weitere Tempelanlagen und staatliche Gebäude. So verlegte Augustus etwa den Sitz des obersten Priesters, dessen Amt er seit 12 v. Chr. selbst innehatte, vom Forum auf sein Gelände am Palatin, richtete für seine Gattin ein Heiligtum der Schutzgöttin Vesta ein, erbaute einen aufwändigen Säulengang und einen heiligen Acker, in dem Carandini den Zugang zur Grotte des Romulus vermutet.

In späteren Jahren, als der Herrscher alt wurde, verlegte er selbst die Senatssitzungen in sein privates Reich, für die er etwa den Kuriensaal errichtete. Seine Bibliothek, deren mit Stuck verzierten Überreste und steinerne Wandnischen noch heute zu sehen sind, soll an Größe der Bibliothek von Alexandria nicht nachgestanden haben. „Das Haus des Augustus ist ein Heiligtum, aber auch eine Stadt“, konstatiert Carandini.

Eine Kirche auf heidnischem Boden

Während das Rätseln darüber weiter geht, wo das Schlafzimmer des Kaisers und wo die Zimmer seiner Adoptivsöhne und seiner für ihre erotischen Ausschweifungen bekannten Tochter Julia sich befanden, macht Carandini erneut mit einer starken These auf sich aufmerksam: Just an der Stelle des Palastes, an der der Kaiser sich einst dem Volk zeigte und die Spiele im Zirkus beobachtete, hat im 4. Jahrhundert Anastasia, die Schwester des Kaisers Konstantin, ihrer Namenspatronin eine Basilika errichtet – das erste christliche Gotteshaus im Herzen der Stadt, meint Carandini.

325 n. Chr. hatte Konstantin, der das Christentum zu einer privilegierten Religion erhoben hatte, den 25. Dezember, den Gedenktag der unter Diokletian hingerichteten Märtyrerin Anastasia, im ersten gesamtkirchlichen Festkalender als verbindlichen Weihnachtsfeiertag fest gelegt. Und in St. Anastasia auf dem Palatin soll dann das erste offizielle Weihnachtsfest der Christenheit gefeiert worden sein, vielleicht schon im Jahr 326.

Carandini sieht darin eine Strategie Konstantins, die Geburtsstätte des paganen Roms, die Höhle des Romulus, durch die glanzvolle christliche Geburtsfeier zu übertrumpfen: „Die Kirche wurde gebaut, um diesen heidnischen Kultplatz zu christianisieren.“

So führt Carandini die christliche Historie zurück auf den antiken Mythos und bekräftigt seine Überzeugung, dass Rom nicht „selbsterklärend“ und kein Monument ohne den ganzen Kontext der Geschichte begreifbar ist. Deshalb arbeiten er und seine Mitarbeiter an einem Informationssystem, das die einzelnen Funde der Stadt in das große Ganze einfügen soll. Ihr Fernziel: ein großes Stadtmuseum, das die Geschichte der Ewigen Stadt seit ihren Anfängen dokumentiert

Quelle: Welt.De / L. Höllerer

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