Evangelische Christen auf der ganzen Welt feiern am 31. Oktober den Reformationstag. Sie gedenken jenes Datums, das den Beginn der protestantischen Bewegung markiert.
Begeben wir uns ins frühe 16. Jahrhundert. Martin Luther, ein unbedeutender Mönch, ringt um die Rechtfertigungsfrage: Wie finde ich einen gnädigen Gott? Oder anders ausgedrückt: Wie kann ich als sündiger Mensch vor Gott bestehen? Der theologische Fachbegriff "Rechtfertigung" meint also die Beurteilung des Menschen durch Gott.
In einem Prozess immer tiefer gehender Erkenntnisse kristallisiert sich heraus: Vor Gottes Gericht besteht ein Mensch "allein aus Gnade", die ihm "allein aus Glauben" zuteil wird. Demnach kann der Mensch sich das Seelenheil nicht durch eigenes Bemühen verdienen, etwa durch gute Taten oder religiöse Übungen. Schon gar nicht kann er sich den Himmel erkaufen, was damals gängige Praxis ist.
Damit stellt sich Luther gegen das von Rom praktizierte Ablasswesen. Chronisch leere Kirchenkassen hatten die Kurie auf die Idee gebracht, Ablass-Scheine zu verkaufen.
Vergebung der Sünden gegen klingende Münze: Dazu kann der Theologe nicht schweigen. Am 31. Oktober 1517 veröffentlicht er in der Universitätsstadt Wittenberg 95 Thesen, mit denen er zur Disputation über den Ablasshandel aufruft. Und diese Thesen enthalten Sprengstoff.
Dazu sagte Horst Hirschler, bis September 1999 Bischof der Hannoverschen Kirche und Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands: "Das merkt man schon an seiner ersten These, (...) wenn es dort heißt, dass 'unser Herr Jesus Christus sagt: Tut Buße, wollte er, dass das ganze Leben des Christen eine Umkehr ist.' Das heißt: (...) Er hat sofort das, was wir als Christenmenschen sagen, als etwas genommen, was man vom Herzen aus tun kann und was man nicht irgendwie technisch bewältigen kann. Daraus ist dann eine grundsätzliche Kritik gegenüber dem Papsttum entstanden. (...) als er in diesen Kampf hinein kam, da kamen dann Elemente hoch, dass er plötzlich sagte: 'Ist der Papst vielleicht der Antichrist?'"
Luthers Thesen verbreiten sich rasch im ganzen Reich. Der großen öffentlichen Zustimmung steht die entschiedene Gegnerschaft der katholischen Kirche entgegen. Was klären soll, verschärft nur den Theologen-Streit. Der Beginn der Kirchenspaltung, in deren Verlauf die evangelische Kirche entsteht.
In den Folgejahren geben Luthers Lehr- und Bekenntnisschriften dem Anliegen der Reformation Profil. Beide Seiten überschütten sich mit Lehrverurteilungen. Versuche der Annäherung scheitern - etwa 1530 auf dem Reichstag in Augsburg. Luthers Mitstreiter Philipp Melanchton versucht, mit dem Augsburger Bekenntnis den Nachweis zu erbringen, dass die Evangelischen dogmatisch durchaus auf dem Boden der katholischen Kirche stehen. Vergeblich.
1541 auf dem Regensburger Reichstag dann die letzte Anstrengung, die Einheit zu wahren. Ebenfalls ein Misserfolg. Zwar wird 1555 der Augsburger Religionsfriede geschlossen, doch die Kirchenspaltung nimmt ihren unheilvollen theologischen, kirchenpolitischen und militärischen Verlauf. Erinnert sei nur an die Bauernkriege und später den Dreißigjährigen Krieg. Es folgen 400 Jahre Eiszeit, 400 Jahre Gesprächslosigkeit.
Erst in der Schlussphase des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 beginnt ein zaghafter evangelisch-katholischer Dialog. Und der mündet in einem ökumenischen Jahrhundertereignis. Der Vatikan und der Lutherische Weltbund, stellvertretend für die reformatorischen Kirchen, einigen sich nach dreijährigen Verhandlungen auf die 'Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre' - beenden damit den Kirchenstreit um die Kernthese Luthers.
Altbischof Hirschler sagte hierzu: "(…) da ist das Großartige nun, dass in der 'Gemeinsamen Erklärung' deutlicher gesagt wird: Nein, nein, nicht wir stellen unser Heil her, sondern das Heil wird uns (…) zuteil durch Kreuz und Auferstehung Christi, durch das, was Gott mit ihm gebracht hat. Dann folgen dadurch notwendigerweise vernünftige Taten, mehr Nächstenliebe, dass ich anders lebe. Das ist klar. Aber: Man muss alles Gewicht auf den Glauben legen."
Die 'Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre' enthält zwar nur einen Konsens in theologischen Grundwahrheiten, aber sie stellt klar: Die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts treffen nicht mehr. Mit der Unterzeichnung des Dokuments am 31. Oktober 1999 in Augsburg erhält Luthers Einladung zum Gespräch über die Erneuerung der Kirche erstmals nach 482 Jahren eine reale Chance. Damit wird am traditionsreichen Ort Augsburg eine neue Phase der Verständigung eingeleitet.
31.10.08
31.10.1517: Reformationstag
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