14.12.08

Baukunst - Die Pariser Opéra Garnier u. Der Bahnhof St. Pancras in London

Die Dokumentationsreihe "Baukunst" präsentiert herausragende Bauwerke aus verschiedenen Jahrhunderten der Architekturgeschichte.

Die Pariser Opéra Garnier

Nach 15-jähriger Bauzeit wurde am 5. Januar 1875 die Opéra Garnier, nach ihrem Erbauer Charles Garnier benannt, eingeweiht. Als Charles Garnier seinen Entwurf beim Architektenwettbewerb einreichte, war er noch ein junger, fast unbekannter Architekt. Den Wettbewerb hatte Napoleon III. im Jahr 1860 im Rahmen der architektonischen Umgestaltung der Stadt Paris durch Baron Haussmann ausgeschrieben. Von den 171 anonym vorgelegten Entwürfen wurde am 29. Dezember 1860 der von Charles Garnier ausgewählt.
Während der Bauzeit war das Projekt den Wechselfällen der französischen Politik ausgesetzt, so dem Fall der Reichsregierung und dem deutsch-französischen Krieg von 1870. Die Geschichte der Pariser Oper reicht bis zur Gründung der "Académie Royale de Musique" durch Ludwig XIV. ins Jahr 1669 zurück. Das Opernhaus ist kugelartig konzipiert, schirmt den Besucher von der Außenwelt ab und gestattet ihm, in die Traumsphäre der Oper einzutauchen.
Der Eingangsbereich stellt den Übergang von der realen in die Traumwelt dar und bildet das architektonische Pendant zur Opernouvertüre. Das Bauwerk verbindet Klassizismus und Rationalismus im Sinne einer funktional ausgerichteten Architektur. Diese Begegnung von Tradition und Moderne zeigt sich auch in der Auswahl der Baustoffe: Der Zuschauerraum besteht aus einer riesigen Konstruktion aus verkleidetem Stahl und bildet somit den ersten Opernbau mit einer stählernen Innenstruktur. Der Zuschauerraum selbst ist nur sparsam ausgeschmückt, damit das Publikum nicht vom Geschehen auf der Bühne abgelenkt wird. Im Jahr 1964 gestaltet Marc Chagall das Deckengemälde, das verschiedene Allegorien zeigt und beim Betrachter Szenen aus dem Opern- und Ballettrepertoire evoziert.
Das Palais Garnier leitete zudem eine kleine Revolution der Sitten ein: Während der Pausen wandelten die Besucher durch die Gänge und das von Paul Baudry in zehnjähriger Arbeit dekorierte Foyer, anstatt in ihren Logen Gäste zu empfangen, wie das zuvor üblich war. Im Foyer ganz nahe an einem Fenster befindet sich übrigens eine Büste des Architekten, deren Blick nach draußen auf die Avenue de l'Opéra gerichtet ist.
Charles Garnier wollte einen Bau errichten, der selbst ein Schauobjekt sein würde, gewissermaßen als Kontrapunkt zu der im Inneren stattfindenden Opernaufführung. Um dieses Ziel zu erreichen, nutzte er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Dabei war es sein großes Anliegen, nicht nur als Erbauer der Oper, sondern auch als ihr Direktor in die Geschichte einzugehen.



Der Bahnhof St. Pancras in London

Wie die anderen Londoner Kopfbahnhöfe sollte auch St. Pancras über ein stählernes Bogendach sowie über ein Luxushotel verfügen: Das heißt zwei getrennte Einrichtungen und zwei unterschiedliche Bauprojekte. Sie wurden von zwei Männern geleitet, die von Zusammenarbeit nichts hielten.
Als die Midland-Eisenbahngesellschaft 1863 die Genehmigung zum Bau des Bahnhofs erhielt, erteilte sie William Barlow, einem der glänzendsten Ingenieure der damaligen Zeit, den Auftrag. Die Rekordtragweite seiner 1865 fertiggestellten Bahnsteighalle, mit einer Höhe von über 30 Metern und einer Länge von über 200 Metern, blieb bis zur Pariser Weltausstellung 1889 unübertroffen. Die Stahlarmatur wird bei St. Pancras durch keine Stützen oder Pfeiler getragen. Barlow entwarf eine waghalsige und effiziente Konstruktion: Da das Bauwerk aufgrund der Bodenunebenheiten erhöht errichtet werden musste, verlegte er den Träger für die Fundamentplatte ins Untergeschoss, wo er die ganze Belastung aufnehmen konnte. Der Bau einer höheren und breiteren Stahlstruktur wurde so möglich.
Der Auftrag des Hotels ging an Sir George Gilbert Scott. Der Vertreter des gothic revival sollte den Erwartungen der Midland Company in puncto Luxus Gestalt geben - und das Midland Grand Hotel wurde tatsächlich das größte und luxuriöseste der Hauptstadt. Es weist Zitate aus allen Epochen der Gotik auf, vom flandrischen Rathaus bis zur französischen Kathedrale, besonders aber liebäugelte Scott mit dem Mittelalter. Er gestaltete eine moderne Gotik, die den funktionalen Anforderungen gerecht werden konnte. Vom Glanz des Hotels ist heute nicht mehr viel übrig: Leer und unbeheizbar dämmert es einem ungewissen Schicksal entgegen. Es bleibt nur noch die denkmalgeschützte Fassade, monumentales Überbleibsel des grenzenlosen Ehrgeizes einer Eisenbahngesellschaft.

Keine Kommentare: