10.07.08

Die Züchtigung mit den vier Pflöcken

Ein Gemälde als Plädoyer gegen die Sklaverei

Gern hätte Marcel Verdier sein neuestes Werk 1843 im Pariser Salon ausgestellt – doch sein Gemälde wurde abgelehnt. Ein gemalter Appell gegen die in den französischen Kolonien noch immer rechtmäßige Sklaverei schien der Jury dazu geeignet, „den Hass der Bevölkerung gegen unsere unglücklichen Kolonien zu schüren“.


© The Menil Collection, Houston
„All men are created equal“ - alle Menschen wurden gleich geschaffen. Dieser Satz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 stammt aus der Feder von Thomas Jefferson. Dass Sklaverei im Gegensatz zu dieser Forderung stand, war dem dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten in der Theorie durchaus bewusst. Dies hinderte ihn aber nicht daran, auf seinen Plantagen selbst viele Sklaven zu halten. Zwar wurde im Zeitalter der Aufklärung die Sklaverei zunehmend in Frage gestellt, doch waren die ersten Schritte auf dem Weg zu ihrer Abschaffung halbherzig. 1807 hatte England den Handel mit Sklaven verboten – nicht aber deren Haltung. In den französischen Kolonien brachte die Revolution 1794 die Abschaffung der Sklaverei, doch wurde sie 1802 bereits wieder eingeführt. Schließlich folgte Frankreich 1817 dem Beispiel Englands und verbot den Sklavenhandel in seinen Kolonien. Wurde ein mit Sklaven beladenes Schiff aufgegriffen, konnte es geschehen, dass der ertappte Kapitän seine menschliche Fracht kurzerhand über Bord kippte, um so einer Bestrafung zu entgehen.

Sklaven als „meubles“

Besonders stark war die Anti-Sklaverei-Bewegung in England. Unter diesem Druck beschloss das englische Parlament am 1. August 1834: „Die Sklaverei soll hiermit vollständig und für alle Zeit abgeschafft werden … und sie wird für ungesetzlich erklärt in sämtlichen britischen Kolonien, Plantagen und Besitzungen.“ So weit war man in Frankreich noch nicht. Sklaven galten in den französischen Überseebesitzungen nach wie vor als „meubles“. Zu den Menschen, die die französische Öffentlichkeit in Europa auf das Unrecht der Sklaverei aufmerksam machen wollten, gehörte der Maler Marcel Verdier (1817-1856). Verdier war ein Schüler von Jean-Auguste-Dominique Ingres, der schon den Zeitgenossen als einer der größten Maler seines Landes galt. Doch während Ingres sich der Leuchtgestalten der französischen Geschichte oder der antiken Mythologie annahm, legte Verdier mit seinem Gemälde den Fokus auf einen Schandfleck in der fernen Karibik – und hoffte zugleich, mit diesem gemalten Paukenschlag berühmt zu werden.


© The Menil Collection, Houston
Strafe für einen Fluchtversuch

Das Gemälde „Die Züchtigung mit den vier Pflöcken“ („Châtiment des quatre piquets dans les colonies“) zeigt die in den Kolonien übliche Strafe für einen Sklaven, der einen Fluchtversuch unternommen hatte und wieder eingefangen wurde. Der Sklave wurde dabei nackt mit ausgestreckten Armen und Beinen an vier Pflöcke flach auf den Boden gebunden. Der weiße Sklavenhalter legt nicht etwa selbst Hand an, sondern lässt die Strafe von einem schwarzen Aufseher ausführen: Auf Verdiers Gemälde holt er gerade zu einem Hieb auf den Rücken des Sklaven aus. Dieser versucht vergeblich, den Qualen durch eine Drehung des Körpers zu entkommen.

Und die Familie schaut zu

Die ungeheure Wirkung von Verdiers Bild geht zum einen auf diese schonungslose Darstellung der Prügelstrafe zurück – die Menschen in Paris sollten sehen, was in den Kolonien vor sich ging, und nicht länger die Augen vor diesem Unrecht verschließen. Noch stärker aber wird die Wirkung des Bildes durch die von Verdier am linken Bildrand platzierte Familie des Sklavenhalters, die der Bestrafung zuschaut.

© The Menil Collection, Houston
Rechts lehnt der Pflanzer fast gelangweilt an einer Hütte, in seiner rechten Hand hält er lässig eine Zigarre. Man kann davon ausgehen, dass er einer solchen Bestrafung schon oft beigewohnt hat.
Schockiert ist der Betrachter aber von der Szenerie neben dem Pflanzer: Nicht nur dessen Frau schaut der Prügelstrafe mit leicht verängstigtem Blick zu – auch die kleine Tochter ist Augenzeugin der grausamen Strafaktion. Sie flüchtet sich an die Brust ihrer Mutter, eine davor kauernde Sklavin blickt Mutter und Tochter fragend an. Unwillkürlich erhebt sich die Frage: Weshalb mutet der Pflanzer seiner Familie so etwas zu? Die Antwort ist einfach: Das Kind soll von klein auf daran gewöhnt werden. Das Mädchen soll es als normal

© The Menil Collection, Houston
empfinden, dass Sklaven ausgepeitscht werden und Sklavenhaltung nur eine andere Form der Tierhaltung ist. Auf diesen Aspekt könnte auch die Darstellung des kleinen schwarzen Jungen am linken Bildrand hindeuten, der ausgerechnet mit den Ketten spielt, mit denen der Delinquent zuvor gefesselt gewesen war. Während er dies tut, wird er von einem Hund beschnuppert bzw. abgeleckt – Verdier setzt Hund und Sklavenkind in seinem Bild (und damit in den Augen der Sklavenhalter) auf eine Ebene.


© The Menil Collection, Houston
Im Hintergrund deutet Verdier an, dass solche Züchtigungen keine Ausnahmefälle, sondern an der Tagesordnung waren. Denn während der eine Sklave noch ausgepeitscht wird, wird der nächste Unglückliche schon herangeführt. Er ist in Ketten gelegt und schaut mit völlig verängstigtem Blick auf den schwarzen Aufseher, der die Strafe ausführt. Eine Sklavin hält mit gesenktem Kopf seine Hand und will ihm in dieser schweren Stunde beistehen.

Ein Gemälde im Kaufhaus

Nachdem ihm die Türen des vornehmen Pariser Salons verschlossen geblieben waren, suchte Verdier nach anderen Möglichkeiten, sein Gemälde zu zeigen. Er fand sie im Bazar Bonne-Nouvelle. In diesem Vorläufer unserer heutigen Kaufhäuser wurden zwar vor allem Haushaltswaren und Lebensmittel verkauft, doch gab es auch ein Café, ein Theater – und eine viel besuchte Galerie. Um Aufmerksamkeit in einer breiten Öffentlichkeit zu bekommen, war der Bazar so gesehen fast der bessere Ausstellungsort als der Salon.
Es dauerte jedoch noch fünf weitere Jahre, ehe die Sklaverei 1848 auch in den französischen Kolonien abgeschafft wurde.

Verwirrung um die Datierung

Für eine gewisse Verwirrung sorgte die Datierung von Verdiers Gemälde: 1849 ist in großen Zahlen darauf zu lesen. Nachweislich hat er

© The Menil Collection, Houston
das Bild aber 1843 gemalt und es wurde in diesem Jahr auch im Bazar Bonne-Nouvelle ausgestellt. Zwei Erklärungen gibt es dafür: Verdier selbst hat die Jahreszahl nachträglich eingefügt und das Bild auf die Zeit nach der Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien datiert. Damit wäre das Gemälde keine Anklage gegen die französische Sklavenhalterei mehr gewesen, sondern ein Plädoyer gegen die verbliebene Sklaverei überall auf der Welt. Wahrscheinlicher aber ist, dass Verdier die Szene 1849 ein zweites Mal auf einem großen Gemälde festgehalten hat und nur diese Fassung erhalten geblieben ist.

Sklaverei heute

Wer übrigens glaubt, dass die Sklaverei heute endgültig der Vergangenheit angehört, irrt: Weltweit leben heute 27 Millionen Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen. Sklaven gibt es auf dem indischen Subkontinent, aber auch in Nord- und Westafrika. Und in Europa gibt es Tausende von ausgebeuteten „Haushaltssklavinnen“, die geschlagen und erniedrigt werden, in westlichen Bordellen werden Frauen aus Afrika und Osteuropa mit Gewalt zur Prostitution gezwungen – auch das ist eine Form der Sklaverei, gegen die Marcel Verdier sein aufrüttelndes Bild gemalt hat.

Quelle: Arte.tv - Uwe A. Oster


The Menil Collection

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