04.09.08

Das Rätsel der Osterinsel

Das karge Eiland mitten im Pazifik war einst voller Palmen. Die Ureinwohner hatten eine eigene Schrift und Kultur und bauten monumentale Steinfiguren. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse über den Untergang dieser Hochkultur. Eine Ursache dürften Ratten gewesen sein – diese fanden dort ein ökologisches Schlaraffenland vor.



Eine Mischung aus Staunen, Angst und Neugier befiel den holländischen Kapitän Jacob Roggeveen und seine Männer, als sie um Ostern des Jahres 1722 als erste Europäer die versteinerten, übermannshohen Skulpturen auf der seitdem so benannten Osterinsel im Ostpazifik erkundeten.
Diese Vulkaninsel liegt 3700 Kilometer vor dem chilenischen Festland im Ozean und ist der östlichste Ausläufer der polynesischen Welt. Ein entlegener Ort, der von den Einwohnern zwar Rapa Nui, „große Insel“, genannt wird, der aber nur 170 Quadratkilometer misst. Hier haben Menschen über viele Jahrhunderte hinweg isoliert von anderen ihre eigene Kultur, ja sogar eine eigene Schrift, „Rongorongo“ genannt, entwickelt. Dass diese bis heute nicht entziffert werden konnte, ist eines der vielen Rätsel der Insel.

Rätsel ranken sich auch um die mehr als 900 riesigen Skulpturen aus Vulkangestein, die „Moai“. Diese stummen Zeugen einer großen Vergangenheit sollen vermutlich die Vorfahren von Göttern darstellen und finden sich rund um die Insel verstreut. Die bis zu sechs Meter hohen Statuen ruhen auf riesigen altarähnlichen Steinplattformen, den „Ahu“.

Moai waren umgestürzt

Nur noch wenige Moai stehen heute an ihrem Platz, die meisten lagen bereits bei der Ankunft von Roggeveen und seiner Crew umgestürzt auf der Erde. Archäologen haben rekonstruiert, dass die tonnenschweren Kolosse mit einfachen Meißeln aus dem Gestein gehauen und von den Lavasteinbrüchen bis an die Küste der Osterinsel transportiert wurden, um sie dort aufzustellen. Wie die Bewohner der Osterinsel dies genau bewerkstelligten, ist unbekannt. Vermutlich aber benutzten sie dazu die Stämme jener Palmen, die einst in ausgedehnten Wäldern die Insel bedeckten.

Bereits bei der Ankunft von Roggeveens Schiffen war die Insel allerdings nahezu entwaldet. Und so wunderte sich der Entdecker, „wie Menschen, die weder über dicke Holzbalken zur Herstellung noch über kräftige Seile verfügten, dennoch solche Bildsäulen aufrichten konnten“.

Auch heute wächst auf der Insel nur eine äußerst verarmte Vegetation: rund 50 Pflanzenarten, darunter nur zehn Bäume, von denen keine höher als drei Meter ist. Pollenanalysen zeigen indes, dass es einst mit Jubaea eine über 30 Meter hoch wachsende Palmenart auf der Insel gab. Der Wald, so die These, wurde gerodet, um die Statuen zu transportieren. Als er verschwand, setzte auf dem Eiland eine ökologische Katastrophe ein, die zum Zusammenbruch der Gesellschaft von Rapa Nui führte.

Lehrbeispiel für ökologische Selbstzerstörung


Doch um das Verschwinden der Palmen ist ein wissenschaftlicher Disput entbrannt. Denn die Insel gilt seit Langem als Metapher für eine menschengemachte ökologische Katastrophe, ja als Gleichnis für die moderne globalisierte Welt: Die Osterinsel, das Lehrbeispiel für ökologische Selbstzerstörung, wurde 1994 sogar für Hollywood in Szene gesetzt.

Vor allem aber der amerikanische Geograf und Evolutionsbiologe Jared Diamond hat die These vom Ökodesaster mit seinem 2005 erschienenen Bestseller „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ publik gemacht. In „Kollaps“ erklärt Diamond, wie die Wikinger auf Grönland ihre eigene Lebensgrundlage zerstörten. Er erzählt, wie die Maya den Urwald rodeten, um Maisplantagen anzulegen, wie sie dadurch der Erosion Vorschub leisteten und ihre Stadtstaaten Opfer der Dürre wurden.

Diamonds anschaulichstes Beispiel aber liefert die vorkoloniale Geschichte der Bewohner der Osterinsel, die sich mit frevelhaftem Raubbau an den einst ausgedehnten Palmwäldern um ihre eigene Existenzgrundlage brachten. Demnach ging die Kultur auf der Osterinsel unter, weil die Rapa Nui ihre eigenen Ressourcen übermäßig ausbeuteten und sich in Stammeskriegen schließlich selbst dezimierten. Rapa Nui – Menetekel und eindringliche Mahnung, sorgsamer mit den natürlichen Ressourcen umzugehen.

Biesiedelung erst 400 Jahre später


Doch zwei neue Erkenntnisse bringen die These vom menschengemachten Ökokollaps und dem anschließenden Untergang der Gesellschaft ins Wanken. Nachdem bislang vermutet worden war, dass die ersten Polynesier bereits um 800 nach Christus die Osterinsel erreichten, deuten jüngste Radiokarbon-Datierungen darauf hin, dass die Besiedlung erst 400 Jahre später erfolgt.

Innerhalb von 150 Jahren, so zeigen Pollenanalysen in Strandablagerungen, schwanden daraufhin die Palmenwälder. Genaue Analysen der Samen zeigen zudem, dass diese Palmnüsse sämtlich von der Pazifischen Ratte, Rattus exulans, angenagt waren.

Ein Team um Terry L. Hunt von der Universität von Hawaii vermutet daher, dass die unkontrollierte Vermehrung der von den Polynesiern auf der Osterinsel eingeschleppten Ratten zum Schwund der Wälder führte. Um 1200 nach Christus, so hat Hunt hochgerechnet, könnten zwischen zwei und drei Millionen Ratten auf der Insel gelebt haben. Sie fraßen alle Palmensamen auf und verstärkten dadurch die Entwaldung der Insel.

Auch wenn die Rapa Nui auf der Osterinsel ebenfalls Palmen für Bau- und Feuerholz fällten, so gab es demnach keinen direkt durch den Menschen selbst verursachten Zusammenbruch seiner Kultur. Vielmehr schleppten die Polynesier einen anderen Umweltschädling auf die Insel, der für den Kollaps sorgte. War also die Ratte schuld am Untergang der Moai-Kultur und nicht unmittelbar der Mensch?

Polynesier schleppten Ratten ein

Dass die sich übermäßig vermehrende Ratte vielerorts im Pazifik ein Übel gewesen sein dürfte, belegt auch eine jüngst in den „PNAS“ erschienene Studie über die Kolonisierung Neuseelands. Auch hier war bislang umstritten, wann genau die Maori erstmals die Doppelinsel erreichten. Je nach Datierung könnten die Neusiedler entweder mehrere Jahrhunderte friedlich und weitgehend in Einklang mit der Natur wie in einem „Garten Eden“ gelebt haben; oder aber die Kolonisten vernichteten sehr schnell ihre ökologischen Grundlagen und viele der nur auf Neuseeland lebenden Tier- und Pflanzenarten.

Jüngste Datierungen mittels Radiokarbon-Methode von Knochen der Pazifischen Ratte und den von ihr benagten Pflanzensamen ergaben nun, dass Rattus exulans erstmals um 1280 nach Christus Neuseeland im Gefolge des Menschen erreichte. Das ist immerhin etwa ein Jahrtausend später als bisher vermutet; doch es fällt mit den ersten archäologischen Hinweisen auf Entwaldung und Ausrottung vieler Tierarten zusammen.

Wie später auf der Osterinsel haben die Polynesier demnach auch auf Neuseeland die Ratten eingeschleppt. Diese haben sich im ökologischen Schlaraffenland – ohne Feinde und mit einem Überangebot an Nahrung – innerhalb kürzester Zeit übermäßig vermehrt. Unter günstigen Bedingungen können Ratten alle sieben Wochen ihre Population verdoppeln; aus einem Pärchen werden dann in nur drei Jahren rund 17 Millionen Tiere.

Fauna und Flora stark ausgedünnt

Auf Neuseeland hat diese Rattenplage die Fauna und Flora der Insel stark ausgedünnt und teilweise ausgerottet. Auch hier gab es wie auf der Osterinsel mithin keine „Garden Eden“-Phase in der Rousseaus edle Wilde in Harmonie mit der Natur lebten. Der Mensch sorgte mit seinem Erscheinen und mit den Ratten in seinem Gefolge für ökologische Umwälzungen.

Auch Jared Diamond hat mittlerweile seine These vom Menschen als alleinigen Unheilstifter in Ökosystemen relativiert. Er teilt die Schuld am Untergang der Kultur und der massiven Veränderung der Natur allerdings nicht nur auf Ratten und Menschen auf. „Alle Faktoren sprachen gegen die Osterinsel“, schreibt er in „Science“. „Das Desaster der Insel versteht nur, wer ihre fragile ökologische Lage berücksichtigt.“

Denn auf der Osterinsel ist es relativ kalt und trocken. Sie ist klein und liegt isoliert weitab im Meer. Nur wenige Nährstoffe kommen über die Atmosphäre oder durch Vulkanasche zu ihr. Der Boden der Insel ist ausgelaugt. Rodet nun eine Kultur die Bäume, so schreitet die Erosion voran – und wenn Ratten zudem die Baumsamen fressen, ist ein Ökokollaps kaum zu vermeiden

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