06.10.08

6.10.1683: Erste deutsche Siedlung in Nordamerika

"Es ist unmöglich, der Nachwelt zu beschreiben, unter welchen Entbehrungen und in welcher Armut (...) diese deutsche Gemeinde gegründet wurde."

Die Aufzeichnungen von Gründervater Franz Daniel Pastorius geben Aufschluss über die beschwerlichen Anfänge der deutschen Kolonie. Ihren ersten Winter in der Neuen Welt überlebten die Siedler in selbstgebauten Erdhäusern. "Poortown" – "die Armenstadt " nannten sie ihre neue Heimat, bevor sie sie Germantown tauften.

Die ersten Siedler – 13 Familien aus dem Krefelder Raum unter Führung des Frankfurter Rechtsanwaltes Pastorius – waren Quaker und Mennoniten. Sie folgten dem Lockruf von William Penn, der der britischen Krone ein Stück Land abgerungen hatte und in seiner Kolonie freie Religionsausübung versprach.

Bettina Esser von der Deutschen Gesellschaft von Pennsylvania hat die alten Handschriften und Aufzeichnungen von Pastorius studiert. Sie geben Aufschluss über den charismatischen Rechtsanwalt, Dichter und Lehrer.

Bettina Esser: "Noch ein halbes Jahrhundert nach der Besiedlung zählte Germantown ganze 200 Einwohner. Doch die Gründlichkeit und das handwerkliche Geschick der deutschen Siedler hatte sich bereits herumgesprochen."

Mary Dubney: "Sie rodeten ihr Land äußerst gründlich. Sie hackten die Bäume nicht nur ab und ließen sie trocknen, sondern gruben die Wurzeln gleich mit aus. Ihre Höfe galten als die ordentlichsten in ganz Amerika. Viele der Siedler stellten Textilien her und Germantown machte sich schnell einen Namen für die Qualität seiner Stoffe, besonders seiner Strümpfe. Strümpfe aus Germantown wurden zum Synonym für Qualität im 18.Jahrhundert in Amerika – dank des handwerklichen Geschicks der Leute hier in Germantown."

Mary Dubney ist Direktorin der Historischen Gesellschaft von Germantown. In den Vitrinen der Gesellschaft am historischen Marktplatz liegt ein Exemplar der "Heiligen Schrift" von Christopher Sauer, der ersten in Amerika gedruckten Bibel, und die Brieftasche von Gründervater Pastorius.

In den 300 Jahren seines Bestehens hat Germantown amerikanische Geschichte geschrieben: 1688 verfasste Pastorius den ersten schriftlichen Protest gegen die Sklaverei in der Neuen Welt. Im späten 18.Jahrhundert, als Philadelphia Hauptstadt des jungen Amerikas war, verlegte Präsident George Washington seinen Amtssitz zeitweilig nach Germantown, um der Gelbfieberepedemie zu entkommen. Auch war Germantown die erste Gemeinde Philadelphias, die Afro-Amerikanern den Kauf von Grundstücken gestattete.

Heute ist Germantown eine Gemeinde der 1,6 Millionen-Metropole Philadelphia. Über zwölf Kilometer zieht sich die kopfsteingepflasterte Germantown Avenue vom Stadtzentrum bis hinauf zum Vernom Park.
Dort blickt Stadtvater Pastorius von seinem Sockel indigniert auf die Ansammlung billiger Schnellrestaurants, Videoläden und Supermarktketten, die das Stadtbild von Germantown dominieren. In der Oberstadt liegt die Pastoriusstraße. Hier, unter dem 1770 errichteten Gemeindehaus der Mennoniten, verlief der Tunnel, durch den Sklaven mit Unterstützung der Siedler in die Freiheit flohen.

Heute sind es Anwohner wie Carrol Rowe, die das Weite suchen: "Nein, ich bliebe hier nicht wohnen, in dieser Drogenverseuchten Straße. Die Häuser fallen zusammen, die Bewohner kümmern sich nicht. Man weiß nie, wann man das nächste Mal überfallen – oder erschossen wird. Ich suche mir ein nettes Plätzchen in der Vorstadt, mit viel Gras und viel Ruhe."

Jedes Jahr feiert Germantown mit großem Pomp die historische Schlacht von Germantown vom 4. Oktober 1777, als sich General Washington nach erbittertem Kampf den britischen Kolonialtruppen geschlagen geben und in die angrenzenden Wälder fliehen musste.

Die Erinnerung an das deutsche Erbe von Germantown dagegen verblasst mehr und mehr. Noch erinnern die denkmalgeschützten Häuser entlang der Germantown Avenue und deutsche Straßennamen wie Manheim oder Brunner an die ersten Siedler. Doch für viele Bewohner beschränkt sich die deutsche Geschichte auf das alljährliche Oktoberfest.

1999 kamen fast 200 Besucher in das Wycksche-Haus, in dem neun Generationen der Quakerfamilie lebten und das heute ein Museum ist. Bei Krautsalat und Haxen wurde zu den Klängen einer US-amerikanischen Oompah-Band getanzt. Der Hit des Abends: "In München steht ein Hofbräuhaus..."

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