16.11.08

16.11.1869: Suezkanal fertig

Am Süd-Ufer des Mittelmeers, am Eingang zum Suezkanal, stand bis 1956 eine riesige Statue. Sie zeigte den Franzosen Ferdinand de Lesseps. Stolz erhobenen Hauptes, die offene Rechte wegweisend ausgestreckt, nahm der Mann aus Bronze die Parade der durchfahrenden Schiffe ab. Tausende Passagiere blickten staunend zu dem Koloss hoch und dachten: "Das ist der Vater des Suezkanals."

"Sie wissen ja nicht, dass dieses Götzenbild nur das Denkmal einer großen Geschichtsfälschung ist", schrieb 1940 Nikolaus Negrelli. "Sie ahnen nicht, dass der zusammengerollte Bauplan, den die Linke der Erzgestalt da oben gierig umkrallt, dem Gehirn eines anderen entsprungen ist."

Negrelli ärgerte sich zu Recht, denn die Pläne zum Bau des Suezkanals zeichnete nicht Lesseps, sondern sein Großvater, dem Ägypten kein Denkmal stiftete: Alois Negrelli, Ritter von Moldelbe. Er und Lesseps arbeiteten Mitte des 19. Jahrhunderts gemeinsam in der internationalen Suez-Kommission. Beide wussten, es gab schon einmal einen längst wieder versandeten Kanal zwischen Mittelmeer und Rotem Meer - zur Zeit der Pharaonen. Negrelli war überzeugt, das ein solcher Kanal wieder ausgehoben werden könnte:

Negrelli: "Die Verbindung der beiden Meere mittels eines maritimen Kanals ist sowohl für die Entfaltung des Welthandels durch Abkürzung des Weges zwischen Europa und den am indischen Ozean gelegenen reichen Ländern der alten Welt als auch für die Belebung der Küstenfahrt Ägyptens, verbunden mit dem Aufblühen der inneren Wohlfahrt dieses gesegneten Landes, eine unbestreitbare Notwendigkeit."

Doch Negrelli starb bevor er seine Pläne umsetzen konnte. Das nutzte Lesseps aus. Er kaufte der Witwe alle Pläne ab und gab sie als die eigenen aus. Dabei verstand Lesseps von Architektur nur wenig. Seine Fähigkeiten lagen in der Politik. Der gerissene Diplomat hatte schon 1854 die Erlaubnis für den Bau des Suezkanals besorgt, indem er seinen Freund, den ägyptischen Vizekönig, umgarnte.

Lesseps: "Die Namen der Erbauer der Pyramiden, jener nutzlosen Monumente menschlichen Stolzes, versinken in der Dunkelheit. Der Name des Prinzen, der den großen Suez-Schiffskanal geöffnet hat, wird von der Nachwelt über Jahrhunderte gepriesen werden."

Lesseps gründete eine Aktiengesellschaft. Doch die Geldgeber waren zaghaft, nur knapp drei Viertel der 400.000 zum Kauf angebotenen Aktien wurden gezeichnet. Trotzdem konnte Lesseps im April 1859 den ersten Spatenstich machen. Kritisiert wurde der Kanalbau vor allem von den Briten. England hatte gerade eine Eisenbahnlinie von Alexandrien nach Suez eröffnet und fürchtete nun um deren Einnahmen. Als Lesseps das Geld ausging, schrieb die britische Zeitung "Standard":

"Standard": "Was werden die Aktionäre dazu sagen, diese armen Spekulanten in Frankreich, Ägypten und der Türkei? Sie werden ruiniert sein! Wenn die zweihundert Millionen ausgegeben sein werden, bricht das Unternehmen aus Mangel an Mitteln zusammen."

Die Zeitung irrte. Tausende Ägypter gruben weiter am Kanal in sengender Wüstenhitze. Viele von ihnen starben an Erschöpfung, Lesseps hielt durch. 1869 war der Kanal fertig. Der Bau dauerte doppelt so lange und kostete drei Mal so viel wie geplant. Am 16. November 1869 fand in Port Said eine große Feier statt, Adelige aus ganz Europa nahmen daran teil. Tags darauf weihten sie mit einer offiziellen Fahrt den Kanal ein. Auch der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm war dabei:

Friedrich Wilhelm: "Bis zur Ankunft in Ismailia bot die Fahrt nichts anderes als den Blick auf einen geradlinig gezogenen Kanal, der durchweg von sandigen Ufern eingefasst ist. Drei Mal geriet das eine der österreichischen Schiffe Elisabeth, welches sich uns vorgeschoben hatte, auf den Sand, und hielt uns sowie die sämtlichen Schiffe dadurch gehörig auf; sonst ging die siebenstündige Fahrt ohne Anstoß vonstatten; doch ward natürlich sehr vorsichtig gedampft."

Zur Einweihung sprach niemand mehr von Negrelli, der Planer des Kanals war vergessen. Erst die Tochter des Ingenieurs entdeckte im Nachlass wichtige Papiere, die belegten, dass ihr Vater und nicht Lesseps die Pläne für den Kanal gezeichnet hatte. Sie ging vor Gericht. Ergebnis: Alois Negrelli, Ritter von Moldelbe ist Urheber des Kanals. Gelohnt hat sich das Urteil für die Familie nicht, verdient haben am Kanal nur die Menschen und Staaten, denen er gehörte.

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