„Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte“, bemerkte Goethe nach seinem Besuch in Pompeji. Heute wird hier allerdings niemand mehr so recht froh. 2,5 Millionen Besucher kommen alljährlich in die Ruinenstadt. Sie entwenden Mosaiksteinchen und kleine Freskenreste und hinterlassen Berge von Abfall. Das Aufsichtspersonal ist ungenügend. Die dreihundert Wächter sind in sieben verschiedenen Gewerkschaften eingeschrieben und können Pompeji jederzeit lahmlegen. Ein großer Teil der ausgegrabenen Bauten verfällt. „Dramatisch“ sei der Zustand von Pompeji, erklärte Kulturminister Sandro Bondi im Juli, und auf sein Drängen verhängte die italienische Regierung den Notstand über die antike Stadt. Der ehemalige Präfekt von Neapel, Renato Profili, wurde als Sonderkommissar eingesetzt.
Für den in der Fachwelt geschätzten Archäologen Pietro Giovanni Guzzo, seit fünfzehn Jahren Pompejis oberster Denkmalpfleger, war dies ein wenig kränkend: „Wir brauchen die Ausrufung eines Notstands nicht“, sagt er, „den gibt es in Pompeji seit 1738. Wir brauchen eine kontinuierliche Pflege. Aber der italienische Staat hat nicht das Geld dafür.“ Die Einnahmen von 20 Millionen Euro jährlich reichen nicht. „Wir benötigen 275 Millionen Euro“, sagt Guzzo. Nur durch eine internationale Kooperation könnte Pompeji gerettet werden.
Mafios verursachte Missstände
Seit fünf Monaten ist der Sonderkommissar im Amt. Er verfügt über kein eigenes Budget und schöpft aus den kargen Mitteln der Denkmalschutzbehörde. Eine Satellitenüberwachung des 44 Hektar großen Geländes ist geplant. Sie wird die Kontrolle erleichtern, und es ist auch gut, dass der ehemalige Präfekt aus Neapel dem Archäologieprofessor Probleme abnimmt, die beispielsweise das Funktionieren von Toiletten, aufsässiges Wachpersonal, fehlende Restaurants und zudringliche Souvenirverkäufer betreffen. Lauter mafios verursachte Missstände.
Und das Problem der streunenden Hunde, denen Helmut Krausser 2004 in seinem bezaubernden Roman „Die wilden Hunde von Pompeji“ ein Denkmal setzte? „Das ist unlösbar“, sagt Guzzo, „wir können kein Tierheim bauen, da der gesetzlich vorgeschriebene Abstand von 500 Metern zum nächsten Wohnhaus in dieser dichtbesiedelten Region nicht eingehalten werden kann.“
Ein natürlicher Tod
Neben Pompeji und Herculaneum ist der Superintendent Guzzo auch für die römischen Villen in Oplontis, Stabia und Boscoreale zuständig, für das Archäologische Museum in Neapel und für alles, was Griechen und Römer auf den Phlegräischen Feldern und der Halbinsel Sorrent hinterlassen haben. Der italienische Denkmalschutz leidet unter Personalmangel. Seit mehr als fünfzehn Jahren werden keine Stellen mehr ausgeschrieben: „Offensichtlich will man den Denkmalschutz eines natürlichen Todes sterben lassen“, sagt Guzzo. Die gesamte Altertumswissenschaft werde langsam ins Abseits gedrängt. Auch der Fall des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, das vor zwei Jahren auf unabsehbare Zeit geschlossen wurde, sei dafür ein Beweis. „Für uns Archäologen ist das Institut lebenswichtig.“ In keinem Sektor der öffentlichen Verwaltung findet man heute in Italien so viele entmutigte Beamte wie im Denkmalschutz.
Doch gibt es eine glückliche Insel: Herculaneum. Weder Herkules, den die Bewohner als Stadtgründer verehrten und nach dem sie ihr kleines Paradies am Meer benannt hatten, noch der vergöttlichte Augustus, dem sie eine zwei Meter hohe Bronzestatue errichteten, halfen der Stadt an jenem Augustmorgen 79 nach Christus, als sich der kochende Vulkanschlamm heranwälzte. Aber heute hat Herculaneum einen Schutzgott, der aktiv wird, sobald Not am Mann ist: David Woodley Packard.
Entschluss zur Hilfe
Der Sohn des Mitbegründers von Hewlett Packard kam vor acht Jahren zum ersten Mal nach Herculaneum. Er sah den Verfall, die vielen Bauten kurz vor dem Einsturz, und entschloss sich zu helfen. Gemeinsam mit Andrew Wallace-Hadrill, dem Archäologen und Leiter der British School in Rom, wurde das „Herculaneum Conservation Project“ erarbeitet. Aber erst nachdem 2004 in Italien neue Denkmalschutznormen in Kraft traten, war die Zusammenarbeit zwischen Staat und privaten Sponsoren möglich. Der Gesetzgeber hatte sich bemüht, den in der italienischen Geschichte verankerten hohen Begriff von Denkmalschutz mit einer modernen Auffassung vom Kulturgut als Wirtschaftsfaktor zu verbinden. Die Schutzfunktion blieb beim Staat. Die Erschließung und Vermarktung von Kulturgütern aber konnte jetzt von Privatunternehmen übernommen werden.
Die Grabungsleiterin von Herculaneum, Maria Paola Guidobaldi, ist mit Begeisterung am Werk, seit Packard seine schützende Hand über die Ruinenstadt hält: „Er will auf dem Laufenden gehalten werden. Alle zwei Wochen schicken wir einen detaillierten Bericht über die ausgeführten Arbeiten nach Kalifornien.“ Ein großer Teil der Straßen und Häuser ist wieder zugänglich. Die antike Kanalisation nimmt wieder das Regenwasser auf. Die Tauben wurden durch den Einsatz von Falken verjagt. Packard hat bisher 12 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und weitere 9 Millionen für die nächsten drei Jahre versprochen.
Sehr mühselige Grabungen
Während Pompeji im Aschenregen versank, raste auf Herculaneum eine Glutlawine aus Gas, Magma und Gesteinsbrocken zu. Sie füllte Straßen, Häuser und den Strand, erhärtete sich und bildete eine Plattform. Tief unten blieb das gesamte antike Stadtwesen perfekt konserviert. Obendrauf entstand eine neue Siedlung, das heutige Ercolano.
Daher sind Grabungen in Herculaneum sehr mühselig. Nur ein Viertel der Stadt konnte aus dem harten Verschüttungsmaterial herausgeschält werden. An den hohen, bemoosten Tuffwänden rieselt das Wasser herunter. Rund um die Uhr sind Pumpen in Gang. Vor den Bootshäusern, wo einst der Strand lag, hat sich ein fauliger Sumpf gebildet. „In den nächsten Tagen fangen wir hier mit der Trockenlegung an“, sagt die Grabungsleiterin Guidobaldi und deutet dann hinüber zu einer vierzig Meter hohen Wand, der bisherigen Grabungsgrenze. „Dank Packard konnten wir der Gemeinde 12 Meter Terrain abkaufen. Da wollen wir jetzt einen Schacht bohren. Genau da, wo schon der Bourbonenkönig durch unterirdische Abbaustollen Statuen ans Licht befördert hat. Wir werden mitten auf der Theaterbühne landen. Wir wollen endlich wissen, wie das Theater von Herculaneum im Detail aussieht.“ Packard unterstützt den Plan begeistert.
Feucht und schwül
Auch die Papyrusvilla, jene palastartige Villa, in der man 1750 80 Skulpturen sowie rund 2000 Schriftrollen einer griechischen Privatbibliothek entdeckte, beflügelt die Phantasie. Zumal das Ensemble 1750 nur mittels Tunneln erforscht wurde und erst seit den neunziger Jahren ein kleiner Teil freigelegt werden konnte. Jetzt wurde der zugeschüttete Gang einer älteren Grabung freigeräumt und von dort aus ein Erkundungsstollen in den Tuff gegraben. Man stieß auf eine bemalte Wand und legte einen 8 mal 4 Meter großen Raum frei. Die Decke, ein Tonnengewölbe, ist mit Stuckreliefs verziert. Entlang der oberen Wandzonen läuft ein Fries aus Stuck mit Waffendarstellungen: Helme, Schilde, Schwerter. An den Wänden gemalte Girlanden, bärtige Gesichter, fliegende Eroten. Auf dem Boden liegt noch eine meterhohe Schicht von Verschüttungsmaterial. Sie soll vorerst nicht abgetragen werden. Was auch immer man darin finden würde - Gebrauchsgegenstände, Mobiliar, Gebeine -, die Bergung und Konservierung wäre zu kostspielig.
Es ist feucht und schwül im Raum. Die Wandbemalung in verschiedenen Rottönen ist seltsam kontrastlos. Nur in einer Ecke schimmert ein heller Ockerton. Und plötzlich wird einem schaudernd klar, was für ein Inferno hier einmal tobte: Helle Ockersorten lassen sich nur in Rot überführen, indem man sie auf Temperaturen über 300 Grad erhitzt.
Quelle: .faz.net
10.01.09
Pompeji - Rette es, wer kann
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen