05.10.09

Neros Speisesaal entdeckt?

Es riecht nicht nach gespickten Täubchen. Da liegt auch kein gebratener Hase im Federkleid eines Vogels auf einem mit Blumen verzierten Speisetisch. Die Archäologen sind sich noch nicht einmal sicher, ob sie den sagenhaften Speisesaal (coenatio rotunda) von Kaiser Nero gefunden haben, den der Historiker Sueton in seiner Kaiserbiographie beschreibt: Neros „Bankettsaal besaß die Form einer Rotunde, deren Kuppel sich wie das Weltall Tag und Nacht beständig drehte“.

Aber die Wissenschaftler entdeckten im Juli und zeigten jetzt zum ersten Mal auf dem südlichen Abhang des Palatin mit Blick zum Kolosseum einen Rundbau von 16 Metern Durchmesser. In seiner Mitte erhebt sich ein vier Meter breiter Pfeiler aus einer Ziegelsteinmauer. Regelmäßig angebrachte Vertiefungen in diesem Pfeiler auf einer Höhe, auf der sich ein Fußboden verankern ließe, erlauben den Schluss, dass der wohl hölzerne Boden nicht fest mit der Außenmauer verbunden, sondern drehbar war.

Elfenbein, Perlmutt und Edelstein zur Zierde

Die Archäologen datieren das seltsame Mauerwerk auf die kurze Phase zwischen dem Brand von Rom im Jahre 64 nach Christus und dem Schleifen des gesamten Geländes fünf Jahre später unter dem ersten Flavierkaiser Vespasian, der nach Neros Tod und dem Bürgerkrieg im „Vierkaiserjahr“ die Herrschaft an sich reißen konnte. Durch diese Datierung könnte es sich bei dem Bauwerk tatsächlich um ein Bausegment auf dem riesigen Areal von Neros Goldenem Haus („domus aurea“) handeln, das der Kaiser nach dem Brand mehrerer Stadtviertel vom Oppio-Hügel auf dem Caelius im Osten über das Tal bis zum Hang zum Palatin hinauf errichten ließ.

Das ausgediente Bauwerk wurde nie fertig, aber Sueton berichtete noch ein halbes Jahrhundert später: „Die Innenräume des Palastes waren sämtlich vergoldet und mit Edelsteinen und Perlmutt ausgelegt. Die Speisesäle hatten mit Elfenbeinschnitzereien verzierte Kassettendecken, deren Täfelung verschiebbar war, damit man Blumen auf die Gäste herabregnen lassen konnte, und eine Röhrenwerk, um duftende Essenzen herabzusprühen.“

Berauschender Blick auf einen künstlichen See

Nach dem Fund könnte es nun auch sein, dass sich nicht nur die Decke über diesem Speisesaal drehte, sondern auch der Boden. Es wird an einen hydraulischen Mechanismus gedacht. Aber davon sahen Neros Gäste nichts. Sie genossen einen überwältigenden Blick, der sich bis heute nachfühlen lässt. Dort, wo der Nachfolger Vespasian mit dem Bau des Kolosseums begann, hatte Nero einen künstlichen See anlegen lassen. Neros Gäste sahen zudem auf die Kolossalstatue ihres Gastgebers. Die stand in einer Vorhalle zwischen - aus drei Säulenreihen bestehenden - Kolonnaden und soll nach Sueton 36 Meter hoch gewesen sein. Nach dieser Statue benannten wohl die Flavier das Amphitheater. Den Gästen bot sich der freie Blick in alle Himmelsrichtungen über das Forum zu den Villen auf dem Palatin, wenn sich der Fund der Archäologen bestätigen sollte.

Fürs Erste ist die Anlage wie das gesamte Areal des „domus aurea“ für Besucher gesperrt; aus Sicherheitsgründen, wie es heißt. Zudem wird weitergegraben, um vielleicht doch das gesamte Geheimnis zu lüften. Bislang hatte man trotz der schriftlichen Quellen Neros Villa vor allem auf dem Oppio angesiedelt. Erst jetzt wird das gewaltige Ausmaß der Anlage deutlich. Nero lebte nur fünf Monate in seiner Villa, die Stadtpalast und Gartenhaus in einem war, ehe er, von seinen Feinden bedrängt, mit 31 Jahren Selbstmord beging. „Jetzt erst fange ich an, menschenwürdig zu leben“, hatte er bei der Einweihung seines goldenen Eigenheims gesagt.

Quelle: faz.net

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