03.09.08

Die spinnen wirklich, die Multi-Kulti-Römer

Sie waren die Herrscher der Welt, doch dann zerbrach das Römische Reich. Die Ausstellung "Rom und die Barbaren" in der Kunsthalle Bonn zeigt, wie die Multikulti-Kultur entstand – und Historiker Alexander Demandt erklärt auf WELT ONLINE ihr Scheitern. Am Untergang hatten vor allem die Germanen Schuld.„Rom und die Barbaren – Europa zur Zeit der Völkerwanderung“ in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn bis zum 7.12.2008

Zu allen Zeiten lebten Völker unterschiedlicher Kulturstufen nebeneinander. Wenn heute in Industriestaaten von „Entwicklungsländern“ gesprochen wird, so gleicht dies einer Sichtweise, die schon bei den antiken Griechen üblich war. Sie nannten ihre Nachbarn, die keine Städte, keine Schrift, keine feste Staatsordnung besaßen und ein unverständliches Idiom sprachen „Barbaren“ – Leute die Blabla reden. Zu ihnen zählten zunächst auch die Italiker, bis sich die Römer nach griechischem Muster zivilisiert hatten. Sie übernahmen den Barbarenbegriff und verwandten ihn vornehmlich für die Völker im Norden, für Kelten und Germanen.

Durch die Romanisierung Galliens seit Caesar verlor sich der barbarische Charakter der Kelten, doch blieb er bei den Germanen erhalten, da deren Unterwerfung nicht gelang. Seit dem Kimbernkrieg 105 v. C. wurden die Germanen zweihundert Jahre von den Römern besiegt, ohne dass die Gefahr aus dem Norden gebannt worden wäre. Eine Erklärung dafür suchte der römische Historiker Tacitus in seiner unschätzbaren „Germania“ in der urwüchsigen, naturnahen Lebensweise der Barbaren, in ihrer körperlichen Abhärtung, ihrem kriegerischen Sinn, ihrem Kinderreichtum und ihrer Lernbereitschaft, kurz in jenen Eigenschaften, die den überzivilisierten römischen Großstadtmenschen abhanden gekommen waren.

Zwei Mittel um mit den Germanen umzugehen

Das Germanenproblem geht zurück auf die frühesten Berührungen zwischen den beiden Völkern. Bereits Caesar hat es gesehen und mit jenen beiden Mitteln zu lösen versucht, die mal im Wechsel, mal zugleich für die römische Germanenpolitik bestimmend geblieben sind. Das eine Mittel war kriegerisch: Abwehr, Abschreckung, Abschottung der Grenzen. Das andere Mittel war friedlich: Aufnahme ins Reich, Anwerbung für den Wehrdienst, Öffnung der Grenzen. Welches Mittel, durchgehend angewandt, ein gedeihliches Zusammenleben auf Dauer bewirkt hätte, darüber waren sich die antiken Zeitgenossen ebenso wenig einig wie die modernen Historiker.

Es fragt sich eben, ob in der Politik eher Konsequenz oder eher Flexibilität zum Ziele führt, und wo die Grenze der Zumutbarkeit liegt, wenn es um den Wehrdienst der Bürger oder um die Aufnahme von Fremden geht. Integrieren sich diese, bereichert dies den Staat. Bilden sich Subkulturen, entsteht Sprengstoff. Klar ist Roms Ende: der Einmarsch der Germanen, die Auflösung des Imperiums und ein Niedergang des kulturellen und zivilisatorischen Niveaus.

Die Abschreckungsmaßnahmen begannen mit Caesars zweimaligem Rheinübergang. Es folgten die groß angelegten Versuche unter Augustus, die Elbgrenze zu erreichen. So wie die Gallier, glaubte man auch die Germanen romanisieren und zivilisieren zu können. Das aber scheiterte, keineswegs nur wegen der Heldentat des Arminius im „Teutoburger Wald“. Germanien besaß keine durchgehenden Wasserwege von West nach Ost, die den Verkehr und die Versorgung der Legionen ermöglicht hätten.

Germanien besaß auch keine Bergstädte wie die Kelten, mit deren Erstürmung und Besetzung feste Punkte der Herrschaft geschaffen wären. Germanien besaß schließlich auch keine erkennbaren Metallvorkommen oder andere Bodenqualitäten, die einen vollen Einsatz des römischen Militärs ökonomisch gerechtfertigt hätten. All dieses bewog Augustus, das kostspielige Annexionsprojekt aufzugeben, die Legionen hinter den Rhein zurückzuziehen.

Germanen wurden mit Germanen bekämpft

Unter Marc Aurel um 160 fielen die Markomannen und Quaden beutemachend in Italien ein, die Kämpfe zogen sich über vierzehn Jahre. Wie die Marcus-Säule zeigt, bekämpfte Aurel wiederum Germanen mit Germanen. Aber der Krieg endete unentschieden. Die Grenze blieb die Donau.

Im dritten Jahrhundert bildeten sich mit den Stammesverbänden der Alamannen, Franken und Sachsen neuartige große Kampfgemeinschaften im Westen, die Gallien, Norditalien und Spanien plünderten, während im Osten Goten und Heruler die Donauländer und Kleinasien heimsuchten. Durch den engen Kontakt mit den Römern hatten die Germanen ihre Taktik und ihre Bewaffnung modernisiert: Die Nordmänner trugen nun Eisenschwerter, vielfach aus römischer Produktion.

Sie übernahmen die lange verpönten Fernwaffen, entwickelten Nadelspitzpfeile gegen Kettenhemden, panzerbrechende Streitäxte gegen Schild und Helm, so dass sie nun den Römern auch in offener Feldschlacht erfolgreich begegnen konnten. Die Kämpfe nach Marc Aurel fanden zumeist auf römischem Boden statt, wenn auch einzelne Kaiser jenseits des Rheins Vergeltung übten. „Da nun die Barbaren unser Land durchtoben, herrscht überall Unsicherheit“, so schrieb Hieronymus im Jahre 380.

Schon Caesar warb germanische Reiter ab

Neben den militärischen Abwehrmaßnahmen haben die Kaiser von Anfang an auch eine friedliche Germanenpolitik betrieben. Bereits Caesar hat germanische Reiter angeworben. Sie kämpften bald auf allen Schlachtfeldern, selbst für den Judenkönig Herodes. Augustus und die Kaiser hielten sich eine germanische Leibwache, die „Löwen“ (leones).

Abgesehen von der Einberufung germanischer Krieger haben die Römer Germanen in erheblicher Zahl ins Reich aufgenommen. Unter Nero wurden mehr als 100.000 Anwohner der Donau samt ihren Fürsten, Frauen und Kindern im Reich angesiedelt. Marc Aurel belohnte die Donaubarbaren je nach ihrer Haltung zu Rom mit Geld und Land, mit Steuerfreiheit und Bürgerrecht. „Zahllose Barbaren“ holte er ins Reich.

Im 3. Jahrhundert beginnt die eigenmächtige Landnahme der Alamannen und der Franken links des Rheins. Trotzdem ging die Politik der Ansiedlung und Anwerbung weiter. Rom war allzeit fremdenfreundlich, hatte aber mit den am Schwarzen Meer angesiedelten fränkischen Gefangenen kein Glück. Diese unverschämten Germanen kaperten Schiffe der Donauflotte, entkamen auf hohe See, durchquerten die Meerengen, plünderten Samos und den Piräus, setzten Syrakus und Karthago in Schrecken, segelten durch die Straße von Gibraltar und den Golf von Biskaya und erreichten frohgemut die Heimat in Holland.

Immer mehr Barbaren kamen ins Reich

Unter Diocletian und Constantin um 300 n. Chr. kamen weitere Barbaren ins Reich. Rom gewann damit Söldner, Siedler und Steuerzahler, doch setzte das eine stabile Lage voraus, das heißt eine deutliche Überlegenheit Roms, wie denn überhaupt das multikulturelle Zusammenleben verschiedener Völker klare Machtverhältnisse erfordert, um die Rivalitäten zwischen den Gruppen in Schach zu halten.

Anderenfalls erliegen diese der Versuchung, die Rangordnung festzustellen, und es kommt zu Auseinandersetzungen, die Opfer fordern und einen politischen Umschlag mit sich bringen können. In Rom ist das schließlich geschehen. Die Rheingrenze hielt bis zum Jahresbeginn 407, als Vandalen, Alanen, Sweben und mitziehende Pannonier in Gallien einfielen und nicht mehr zu bezwingen waren.

Die veränderte Machtlage hatte fatale Konsequenzen für die Einbürgerungspolitik. Die zu Abertausenden im Reich lebenden zumeist unfreien Germanen machten gemeinsame Sache mit den Landsleuten von draußen. In hellen Scharen liefen die Bergleute auf dem Balkan, die Sklaven von Rom und die Landarbeiter in Spanien zu den Goten, zu ihren Befreiern, über und halfen beim Plündern.

Weder Abwehr noch Ansiedlung lösten die Probleme

Die römische Germanenpolitik war in beiden Varianten gescheitert: weder die Abwehr noch die Ansiedlung lösten das Problem. Das Imperium Romanum war ein Vielvölkerstaat. Aberdutzende von Stämmen wurden assimiliert und integriert. Dauerprobleme gab es nur mit den Juden und den Germanen. Mit den Juden wurde man fertig, mit den Germanen nicht. Das Verhältnis zwischen den Römern und Germanen ist von Anfang an geprägt durch gegenseitigen Respekt.

Die Römer achteten die naturwüchsigen Sitten der Germanen, das Urteil von Tacitus und 300 Jahre später von Salvianus stimmt wesentlich überein. Auch die Freiheitsliebe der Germanen fand Anerkennung, wenn sie auch chaotische Züge zeigte. Stets bewunderte Rom die robuste Wehrkraft der Nordleute, freilich oft auch ein Grund zur Furcht. Aber man konnte diese Kerle mit den langen Beinen gebrauchen.

Umgekehrt faszinierte die Germanen Roms kultureller Glanz, der Reichtum in den Provinzen und die Größe des Imperiums. Sie dienten den Kaisern ohne Bedenken auch gegen ihre eigenen Landsleute. Trotz ihrer schließlich offenkundigen Überlegenheit im Felde verstanden sich die Germanen ohne Einbuße an Selbstachtung als Schüler der Römer, übernahmen zivilisatorische Errungenschaften, wählten Latein als Schriftsprache. Nur an das Leben in Städten konnten sie sich nicht so recht gewöhnen.

Die eigentlich optimale Ergänzung hätte zu einer für beide Völker fruchtbaren und friedlichen Synthese führen können. Das ist auf der politischen Ebene misslungen. Stattdessen ist die Geschichte ihrer Beziehung eine einzige Folge von Versuchen, eine solche Symbiose zu schaffen. Sie missriet. Die Germanenreiche auf dem Boden des Imperiums sind zugrunde gegangen. Gehalten hat sich nur das Frankenreich in Gallien, das aber die römische Tradition nur in erheblich verkürzter Form fortführen konnte.

Die Translatio Imperii auf die Franken, die Romzüge der deutschen Könige zur Kaiserkrönung durch den Papst, die Idee des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – all diese Ansätze sind irgendwann gescheitert. Dieses Resultat stimmt trübsinnig; doch beruht das auf der Erwartung, dass es in der Politik Dauerlösungen geben könne oder gar müsse. Dagegen spricht alle historische Erfahrung.

Der Autor ist Historiker und hat mit „Der Fall Roms“ das Standardwerk zum Untergang des Römischen Reichs geschrieben.


Quelle: Welt.de / Alexander Demandt

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